850 V Hochspannung

16 März, 2020 by
850 V Hochspannung
CMC Klebetechnik GmbH, Herr Gerald Friederici

Der Sprung von 400V Betriebsspannung auf 850V ist nicht einfach nur eine Verdopplung der Spannung – es entstehen neue, zusätzliche Randbedingungen, die zu beachten sind.

Die Isolationskoordination der IEC 60664 - Normenreihe deckt den Spannungsbereich bis 1000 VAC/1500 VDC ab. Sehr verkürzt dargestellt werden Mindestanforderungen an Luft- und Kriechstrecke definiert sowie Kriterien für die Auswahl fester Isolierstoffe. Die IEC 60664 (VDE 0110) ist somit eine wichtige Basisnorm für die Hochvolttechnik im Automobil und betrifft 400 V Bordspannung ebenso wie 850 V (für noch höhere Spannungen kann DIN IEC TS 62993 DIN SPEC 42993:2016-10 verwendet werden).

Doch was ist am Sprung von 400 VDC zu 850 VDC der wichtige Unterschied?

Jeder, der schon mal bei Nebel unter einer Hochspannungsleitung hindurch gegangen ist, kennt das Knistern der Leitungen. Es ist der akustische Effekt von sogenannten Teilentladungen in die umgebende Luft. Teilentladung erzeugen ähnlich Blitzen Kanäle ionisierter Luft, durchschlagen aber nicht die komplette Isolationsstrecke. An Luft und im Öl von Öltrafos „verheilen“ diese Teilentladungskanäle durch Nachströmen des Mediums in den Bereich der Teilentladung. Feste Isolierstoffe hingegen sind nicht selbstheilend. Teilentladungen zerstören daher mit der Zeit Kunststoffisolationen durch UV-Licht, Hitze und Ozonbildung.

Der Unterschied: unterhalb etwa 400 V treten keine Teilentladung (auch als Corona bezeichnet) auf. Es gibt daher keine zerstörerische Wirkung. Erhöht man jedoch die Spannung auf 850 V, so ist die Spannungsfestigkeit der Luft durch die hohe Feldstärke bei geringen Abständen nicht mehr ausreichen – es kommt zu Teilentladungsimpulsen, die sich im Extremfall zum Beispiel durch ein bläuliches Glimmen zeigen.

Zusätzlich zu der Belastung mit einer hohen Betriebsspannung belasten folgende Parameter das Isolationssystem:

  • Höhere Betriebsfrequenzen, bei denen die Durchbruchspannung vieler Isolationswerkstoffe deutlich reduziert wird. Bei 2,5 MHz ist z.B. die Spannungsfestigkeit von Luft um 20% reduziert. Höhere Betriebsfrequenz bedeutet bei PWM-Ansteuerungen nicht nur die Taktfrequenz (einige zig Kilohertz) sondern auch die zunehmende Flankensteilheit (dU/dt)

  • Spannungsüberhöhungen in Leitungen (bei Frequenzumrichtern können durchaus bis zum 2,5-fache Werte von Un erreicht werden). 

  • Ganz allgemein die Thermische Alterung. Nach Norm ist bei Betrieb am Wärmeklassen-Limit nach 20.000 Stunden die halbe Durchbruchspannung des Neuwertes zulässig. Oder mit anderen Worten: lag man am Anfang des Betriebes mit seinen Parametern weit weg von der Betriebsspannung und zufällig auftretenden Ausnahmesituationen (Spannungsüberhöhungen), nähert man sich durch die Alterung dem Bereich, in dem wegen der Schwächung des Isolierstoffs Teilentladungen wahrscheinlicher werden.

  • Die meisten Werte in Normen beziehen sich auf eine maximale Höhe von 2.000 m. Jeder, der über den Gotthardpass fährt, überschreitet diese Grenze bereits. Die IEC 60664 sieht dafür Korrekturfaktoren vor, die Luft- und Kriechstrecken vergrößern.

  • Der Einfluss der Temperatur auf die Spannungsfestigkeit wird ebenfalls häufig unterschätzt. Die Angaben der Durchschlagspannung in Datenblättern beziehen sich üblicherweise auf Raumtemperatur. Arbeitet man dagegen am Limit der jeweiligen Wärmeklasse, in die das Isolationsprodukt eingruppiert ist, erhält man je nach Polymer bereits deutlich reduzierte Werte. Die dann über die Thermische Alterung ja noch geringer werden.


Teilentladung










Es gibt natürlich noch weitere Einflussfaktoren wie Feuchtigkeit, Verschmutzung, die Leitergeometrie (Spitzen, scharfe Kanten), Vibrationen, Temperaturschock-Belastungen, chemische Belastungen durch automobiltypische Produkte und vieles mehr.

Doch die wichtigste Änderung bei dem Sprung von 400 VDC auf 850VDC ist die Möglichkeit des Auftretens von Teilentladungen. Dieser Alterungsmechanismus spielt bei der halben Betriebsspannung eine eher untergeordnete Rolle und wurde daher bislang eher nicht in die Lebensdauer-Betrachtung mit einbezogen.

Die Entstehung von Teilentladungen erst „im Feld“ ist eine reale Gefahr! Günstige Materialien, die unter Kostendruck ausgewählt werden, Luft- und Kriechstrecken, die den Baugrößenwünschen zum Opfer fallen und Unkenntnis über das Langzeitverhalten ganzer Isoliersysteme unter dieser hohen Spannungs- und Frequenzbelastung können zu Spätfolgen führen. Sie werden selbst bei einem Screeningtest mit ein paar Dutzenden Nullseriengeräten nicht unbedingt detektiert.

Tritt jedoch Teilentladung nach einiger Zeit in einem - im Neuzustand teilentladungsfreien - System auf, sind es oft nur noch Stunden bis zum Totalausfall der Isolationsstrecke.

Spannungen über etwa 500 V erfordern eine erhöhte Aufmerksamkeit in Bezug auf Alterungsverhalten und Spannungsbelastung. Die auftretenden Feldstärken können ähnlich wie bei den sehr eng beieinander liegenden Leiterbahnen moderner Platinen zu einem teilweisen Zusammenbruch der Luftstrecke führen. Es lagern sich Abbauprodukte auf der Oberfläche des Isolationsmaterials ab, die insbesondere bei Anwesenheit von Feuchtigkeit leitfähige Pfade ausbilden und schließlich zum Ausfall führen.

Sprechen Sie mit unseren Spezialisten von CMC Klebetechnik. Die normgerechte Auslegung ihrer Konstruktion können wir Ihnen nicht abnehmen. Aber Produkte anbieten, die auch bei Auftreten von Teilentladungen deutlich länger durchhalten. Denn kaum etwas ist schlimmer wie Ausfälle, die erst im Feld auftreten.

Anwendungstechnik

Gerald Friederici
 

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Gerald Friederici

Tel.: +49 6233 872 356

E-Mail: friederici (at) cmc.de